Rhodos Journal


Mai / Juni 2004

Geht es bergab?

Hier ein paar subjektive Eindrücke, die mir ernsthafte Sorgen um das Auskommen aller rechtschaffenen und ehrlichen Menschen der Insel machen.

Dass der Tourismus aus ökonomischen Gründen in Europa derzeit eine Flaute erlebt, wissen wir alle. Dass, aufgrund dessen, der Geldbeutel bei vielen Leuten nicht mehr so locker sitzt wissen wir auch. Einige Tendenzen, die mit dieser Situation aber nichts zu tun haben, bereiten mir bzw. den Menschen der Insel aber immer mehr Sorgen.

Noch Anfang Juni, als wir von Rhodos Abschied nehmen mussten, herrschte in den meisten Restaurants, Tavernen, Bars, ganz gleich wo auf der Insel, gähnende Leere. Warum? Die Zahl, der zu der Zeit auf Rhodos weilenden Touristen im Vergleich zu den Vorjahren, war sicher geringer. Dennoch, wenn ich mir das Aufkommen der Leihwagen und derjenigen Touristen, die überall unterwegs waren, angeschaut habe, können es so wenige nicht gewesen sein. Wo versteckt sich also der Großteil der Devisen- und Arbeitsplatzbringer?

Ein Problem heißt "All inclusive"! Folgende Fakten und Eindrücke entspringen diesmal nicht nur meinem Gedankengut, sondern ich gebe hier die Sorgen und Erfahrungen der Insulaner wieder.

Folgen und Fakten von AI:

  • Das Gros der Besucher verbringt seinen gesamten Urlaub fast ausschließlich im Hotel, da keiner gewillt ist außerhalb des Hotels für etwas zu bezahlen, was er, zwar meist in minderer Qualität, auch im Hotel erhält.
  • Hoteliers bekommen heute bei AI weniger pro Gast als noch in den Zeiten von Halbpension odgl.
  • Folge: Personal und somit Service in den Hotels muss abgebaut werden, die Kosten für Speisen und Getränke müssen reduziert werden usw.
  • Trinkgeld, das einen Großteil des Einkommens des Personals der Hotels ausmacht ist bei AI mittlerweile unbekannt.
  • Die über Jahrzehnte gewachsene Infrastruktur außerhalb der Hotels geht, in Gastronomie und allem, was damit zusammenhängt, geschäftsmäßig vor die Hunde.

Mein subjektives Fazit hieraus:

Bei AI gibt es außer den Reiseveranstaltern keine Gewinner. Die Margen der Hoteliers, die von den Tourismusgesellschaften oft gezwungen werden AI anzubieten, schwinden, und der Kunde (Tourist) bezahlt diese Form des Reisens mit seiner "Gefangennahme" im Hotel. Außerdem erhält der Urlauber weniger Service und fast - ich betone fast – überall schlechtere Qualität in der Restauration – Selbstbedienung ist angesagt, die Firmenkantine lässt grüßen.

Viele werden jetzt behaupten "ja - wir, die Urlauber, profitieren doch von AI, weil wir billiger Urlaub machen können und Kostentransparenz haben". Richtig! Doch was ist das für ein Urlaub? Für die einen Freibad mit eingebautem Solarium, für die anderen "kostenloses" trinken "bis der Arzt kommt". Nein, nein, Sie geneigter Leser gehören bestimmt nicht zu dieser Klientel und so etwas sind nur Einzelfälle. Seltsamerweise widerlegen dies aber die Aussagen des Hotelpersonals. Diese bestätigen dem Gros der Gäste solche Verhaltensweisen. Wie erzählte ein Bekannter? Spätestens ab 10 Uhr früh beginnt das Schlangestehen für alkoholische Getränke an den diversen Hotelbars und diese Schlange reißt nicht mehr ab, bis die Bar abends geschlossen wird! Komisch.

Lassen wir aber nun diesen "Motivationsgrund" AI zu buchen und wenden uns den Familien zu. Familien geben natürlich als Hauptgrund für AI ihre Kinder an. Kinder wollen den ganzen Tag Getränke, Eis udgl. und dies sei außerhalb des AI-Hotels nicht mehr finanzierbar; heißt es. Doch wie sieht hier die Realität aus? Ebenfalls nach Aussagen von Hotelangestellten läuft das folgendermaßen: Ein Kind will ein Eis, nach einem Bissen wird es weggeworfen, ein Kind will ein Getränk, nach einem Schluck wird es stehen gelassen. Nach einer halben Stunde beginnt dieser Zinnober von neuem. Hier denke ich, ist bzgl. der Kostentransparenz nicht AI, sondern Erziehung gefragt. Auch frage ich mich, wie Familien in der "Vor-AI-Ära" Urlaub machen konnten?

Unabhängig von AI, sind mir noch so einige lustige Verhaltensweisen, die früher nicht zu beobachten waren, aufgefallen. Da gibt es welche, die in einfachen Tavernen fragen was z. B ein Glas Wein kostet. Da gibt es die neue Mode - Speisekartenhopping -, d. h. man rennt von Taverne zu Taverne und liest im Stehen die Speisekarte auf der Suche nach der billigsten Möglichkeit zur Nahrungsaufnahme. Qualität und/oder Ambiente sind nicht mehr gefragt, Hauptsache billig. Da wird heute als Geheimtipp "Lidl" als billiger Nahrungslieferant im Urlaub bald mehr angepriesen, als jedes Restaurant. Diese "Geiz ist geil"-Mentalität, die einem bei uns in der Werbung ja so vortrefflich suggeriert wird, wird langsam unerträglich. Geiz ist keine Tugend, sondern war und ist schon immer eine peinliche Unart, ja abstoßende Eigenschaft menschlichen Daseins.

Nicht nur, dass die Rhodier diese Entwicklung mit völligem Unverständnis beobachten und sich fragen, wofür solche Leute überhaupt Urlaub machen, nein diese Entwicklung hinterlässt auch ein verzerrtes Bild über die tatsächliche wirtschaftliche Lage der Nation aus der die Urlauber kommen. Redet man heute mit Griechen, heißt es allgemein, allen Deutschen geht es wirtschaftlich schlecht. Ist das wahr? Ich denke nein. Sicher geht es manchen schlechter als früher, aber dem Gros, das Arbeit hat und hatte geht es genau so gut wie früher. Ich denke nur, dass die meisten Deutschen das LEBEN verlernt haben!

Die Verhaltensweisen beschriebener Klientel könnten mir persönlich völlig egal sein. Die daraus resultierenden Probleme für eine Urlaubsinsel wie Rhodos sind mir aber nicht egal. UND leider betrifft diese Entwicklung nicht nur Rhodos sondern alle Urlaubsregionen weltweit.

Nachdenken ist angesagt.


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